Turnierarchiv 2013


17.-26.06.2013: IPCA Behinderten Schach WM, Velke Losiny/CZE

Aus der Sicht eines Begleiters

Samstag, 15. Juni
Um 13:30 habe ich mit Marc bei ihm zuhause abgemacht. Ich bin sogar zu früh dort. Also fahren wir mit dem RBS 15 Minuten früher nach Bern als geplant.
Der Zug nach Zürich ist pünktlich. Marc hat uns angemeldet, und so wird uns auch prompt geholfen, um in den Zug zu kommen.
Um 15:00 sind wir am Flughafen und checken gleich mal unser Gepäck ein. Als wir dann in den Flieger können, läuft wie gewohnt alles problemlos. Es wird geholfen, und ich habe nur noch als Zuschauer Platz. Macht nichts.
Mit 15 Minuten Verspätung fliegen wir um 17:50 ab nach Prag. Nach einem kurzen Flug landen wir circa um 19:00. Anders als gedacht, läuft auch bei den Tschechen alles reibungslos. Wieder habe ich gar nichts zu tun. Macht nichts.
Um zum Hotel zu kommen, nehmen wir ein Taxi. Dank der kräftigen Hilfe des Taxifahrers bekommen wir Marcs Rollstuhl auch in den Kofferraum.
Nach einer halben Stunde im Taxi erreichen wir das Hotel Chopin, welches sich gleich neben dem Wenzels-Platz befindet. Das Zimmer ist Rollstuhlgängig, das Bett jedoch nur 1,40 m breit. Ich entscheide mich für Marcs Luftmatratze.

Sonntag, 16. Juni
Heute ist ein wenig Sightseeing angesagt. Spontan wie wir sind, machen wir uns einfach mal auf den Weg in Richtung Moldau. Wir gehen über die Karls-Brücke und drehen eine grosszügige Runde durch die Stadt. Am Abend gibt’s ausgezeichnete Pizza aus dem Holzofen und anschliessend einen Mojito im Duplex, welches sich im sechsten Stock direkt am Wenzels-Platz befindet und einen ausgezeichneten Blick über die Stadt bietet. Zurück im Hotel entschuldigt sich die Dame von der Rezeption gefühlte 100 Mal dafür, dass sie kein zweites Bett organisieren konnte. Dass ich mit der Luftmatratze äusserst zufrieden bin, will sie mir nicht glauben. Macht nichts.

Montag, 17. Juni
Wir checken um 10:00 aus dem Hotel aus, können aber zum Glück noch das Gepäck dort lassen. Wir unternehmen nochmals einen kleinen Rundgang durch die Stadt, bevor wir dann pünktlich um 12:00 beim Hotel abgeholt werden. Wieder ein kräftiger Fahrer, somit ist auch das Verladen des Rollstuhls in den Kofferraum kein Problem.
Der gute Herr ist der Sohn der Organisatorin des Turniers, wie er uns später in akzeptablem Englisch erzählen wird. Sprechen kann er gut, fahren weniger. Nach einigen waghalsigen Überholmanövern und drei Stunden Fahrt erreichen wir das Hotel Eliska in Velké Losiny. Wir werden herzlich empfangen.
Das Zimmer ist sehr geräumig, nur das Badezimmer ist zu klein geraten. Die Dusche ist schon stehend beinahe zu klein, geschweige denn sitzend. Macht nichts. Denn wie immer wird sich alles zum Guten wenden.

Dienstag, 18. Juni
Erster Spieltag! 1. Runde:
Nun geht es in diesem Bericht endlich darum, weshalb er eigentlich verfasst wurde!
Marcs erster Gegner ist Antonin Körber, ein Tscheche mit 1775 Elo-Punkten. Marc hat Schwarz und verliert leider. Macht nichts.
Am Abend essen wir im grossen Speisesaal. Ans Essen müssen wir uns erst mal gewöhnen. Wir gehen erschöpft in unsere Betten. Die Luftmatratze wird nicht mehr benötigt.

Mittwoch, 19. Juni
Zweiter Spieltag, 2. Und 3. Runde:
Heute stehen zwei Runden auf dem Programm.
Marcs erster Gegner ist Tomi Tocklin, ein Finne mit 1802 Elo-Punkten. Marc hat weiss und gewinnt. Ausgezeichnet!
Am Mittag haben wir nicht wirklich Hunger, wir begnügen uns mit einem Eisbecher im Hotel-Restaurant.
Marcs zweiter Gegner ist Anatoly Moskvin, ein Russe mit 1796 Elo-Punkten. Marc hat schwarz und verliert leider. Macht nichts.

Mit Marcs erstem Gegner dieses Tages, Tomi, und seinem Kollegen sowie seiner Begleiterin freunden wir uns schnell an. Zusammen mit Marcs Freund Ruben und dessen Begleiterin Giulia bilden wir eine kleine Gruppe, welche sich nun fast jeden Abend trifft.
Ruben hat eines von zwei in diesem Hotel verfügbaren Rollstuhlzimmern mit geräumiger Dusche, welche wir heute Abend gleich mal in Beschlag nehmen.

Donnerstag, 20. Juni
Dritter Spieltag, 4. Runde:
Marcs Gegner ist Josef Fendrych (4. Runde), ein Tscheche mit 1795 Elo-Punkten. Marc hat Weiss und gewinnt. Super!
Am Nachmittag kommt Nathalie, meine Freundin. Am Dienstag hatte ich mit der Rezeption ausgemacht, dass sie bei uns im Zimmer schlafen kann. Dies wurde anscheinend nicht weitergeleitet, und so wurde Nathalie beim Abendessen systematisch ignoriert und nicht bedient. Nach einigen international geltenden Gesten meinerseits wurde die Organisatorin hinzugezogen, eine äusserst liebenswerte und hilfsbereite Dame. Sie organisierte prompt ein Doppelzimmer mit grossem Balkon und Vollpension. Das lief ja besser als erwartet!

Freitag, 21. Juni
Vierter Spieltag, 5. Runde:
Marcs Gegnerin ist Marina Kaydanovich, eine Russin mit 1816 Elo-Punkten. Marc hat schwarz. Die beiden einigen sich auf Remis.
Am Nachmittag entschliessen wir uns für einen Ausflug nach Sumperk, die nächstgelegene Stadt. Da sich diese circa 10 km entfernt befindet, gehen wir mit dem Zug. Die nette Dame der Rezeption hat uns extra die Abfahrtszeiten der Niederflur-Züge aufgeschrieben, denn die sind eher selten anzutreffen. Wir verbringen einen schönen Nachmittag in Sumperk, besichtigen die Fusgängerzone und machen einen Spaziergang. Um 18:57 fährt laut Rezeption ein Niederflur-Zug zurück nach Velké Losiny. Dies ist nicht der Fall, der Zug hat drei hohe Stufen. Wir fragen die Kondikteurin wann der nächste, für Rollstühle geeignete Zug fahren würde. Sie erklärt mit breitem Grinsen, dass dies erst Morgen der Fall sein werde. Macht nichts.
Kurzerhand entschliessen wir uns, In diesen Zug zu steigen. Mit Tatkräftiger Hilfe des Lokführers und Nathalie, begleitet vom breiten Grinsen der Kondukteurin, hieven wir Marc samt Rollstuhl in den Zug. Nach kurzer Fahrt müssen wir jedoch auch wieder aussteigen. Ich setze Marc auf einen Sitz im Zug, damit wir zuerst den Rollstuhl hinaus bringen können. Danach hole ich Marc und setze ihn wieder in seinen Rollstuhl. Wir haben es geschafft! Nach Sumperk werden wir wohl nicht mehr fahren.
Zum Abschluss dieses anstrengenden Tages lädt uns Marc in ein Restaurant ein, wo wir ein hervorragendes Essen geniessen. Vielen Dank!

Samstag, 22. Juni
Fünfter Spieltag, 6. Runde:
Marcs Gegner ist Stanislaw Koszela, ein Pole mit 1836 Elo-Punkten. Marc hat weiss. Die beiden einigen sich auf Remis.
Ein ruhiger Tag. Wir unternehmen nicht viel, gehen am Nachmittag ein Eis essen. Nach dem Abendessen, welches sich inzwischen verbessert hat, gehen wir für einen Drink zur nahegelegenen Papierfabrik in deren äusserst schickes Restaurant.

Sonntag, 23. Juni
Sechster Spieltag, 7. Runde:
Marcs Gegner ist Juraj Zavarsky, ein Slovake mit 1991 Elo-Punkten. Marc hat Schwarz und gewinnt. Ausgezeichnet!
Am Nachmittag reist Nathalie wieder nach Hause, wir begleiten sie noch bis zum Bahnhof.
Am Abend sind wir zu einem kleinen Fest im Hotel-Garten eingeladen, Ruben hat Geburtstag. Die Runde ist sehr international besetzt, wodurch kreuz und quer übersetzt werden musste. Deutsch-Englisch, Deutsch-Italienisch, Italienisch-Russisch, Englisch-Tschechisch und so weiter.
Nach dem Genuss der Geburtstagstorte und einem Glas des Whiskys, welcher Ruben von uns geschenkt bekommen hat, gehen wir zu Bett.

Montag, 24. Juni
Siebter Spieltag, 8. Runde:
Marcs Gegner ist Martin Sekac, ein Tscheche mit 2090 Elo-Punkten. Marc hat weiss und verliert leider. Macht nichts.
Am Nachmittag entschliessen wir uns, eine Runde im Hoteleigenen Thermalbad zu drehen. Dieses ist mit einem Sitzlift versehen, somit läuft alles ohne Probleme. Da die Temperaturen mittlerweile ziemlich gefallen sind, geniessen wir das Bad im 36 Grad warmen Wasser sehr. Am Abend essen wir im grossen Speisesaal und treffen uns anschliessend zur üblichen Runde mit den Finnen Tomi, Grels und Kathi sowie den Italienern Ruben und Giulia.

Dienstag, 25. Juni
Achter und letzter Spieltag, 9. Runde:
Marcs Gegnerin ist Anto K. Jennitha, eine Inderin mit 1945 Elo-Punkten. Marc hat schwarz. Die beiden einigen sich auf Remis.
Am Nachmittag ist die Rangverkündigung, welche sich dank diverser Reden ziemlich in die Länge zieht. Marc belegt den 28. Rang und erhält ein Zertifikat und einen sehr schönen, goldenen Springer mit Gravur.
Gleich darauf beginnt das Bankett, mit ungewohnt gutem Essen, einer Live-Band und einem Glas Vodka. Ob man will oder nicht. Wir gehen danach noch mit der gewohnten Truppe in ein kleines Restaurant, trinken noch etwas und verabschieden uns schliesslich von all den netten Leuten. Wir gehen früh ins Bett, morgen wird ein anstrengender Tag.

Mittwoch, 26. Juni
Abreise.

Nachdem uns die Dame der Rezeption um 02:00 Uhr morgens unsanft geweckt hatte, weil sie der Ansicht war, dass wir nun auf den Bus sollten, klingelt um 05:00 der Wecker. Nicht ganz ausgeschlafen begeben wir uns um punkt 06:00 zum Car, welcher uns und die gesamte russische und ukrainische Delegation zum Flughafen fährt. Nach sich ewig anfühlenden fünf Stunden erreichen wir diesen um 11:00. Wir warten etwa eine Stunde auf das Check-In und dann eine weitere Stunde, bis wir in den Flieger können. Wieder läuft alles gut und ich habe erneut gar nichts zu tun. Macht nichts.
Mit 10 Minuten Verspätung heben wir um 14:50 ab, um nach einer Stunde in Zürich zu landen. Wieder läuft alles perfekt, aus dem Flieger, in den Zug nach Bern, aus dem Zug, in den Zug nach Schönbühl und schon sind wir zuhause. Ich freue mich auf mein Bett!

Mein persönliches Fazit: Ausser der Zugfahrt von Sumperk nach Velké Losiny lief alles absolut perfekt und noch besser als erwartet. Tschechien hat einen sehr positiven Eindruck hinterlassen! Marc ist nicht ganz zufrieden mit seiner Leistung, trotzdem hat es auch ihm sehr gut gefallen und ich glaube, dass wir beide viel von diesen „Ferien“ profitieren konnten. Vielen Dank Marc, dass ich Dich begleiten durfte, all diese guten Erfahrungen machen konnte und all diese netten Leute getroffen habe! Ich begleite Dich jederzeit sehr gerne wieder!

Der Verfasser des Berichtes und Marcs Begleiter, Matthew Stansfield

Die vollständige Rangliste sowie die Verläufe aller Spiele sind unter diesem Link zu finden: http://www.chess-results.com/tnr101906.aspx?art=1&rd=9&lan=0&turdet=YES&flag=30&wi=984

Fotogalerie: